Das MERGE-Konzept ist ein spannender und innovativer Ansatz, der eine Hybridrolle zwischen Journalismus und KI-gestützter Content-Produktion definiert. Hier eine Analyse, wie dieses Konzept im Vergleich zu aktuellen journalistischen Modellen abschneidet und wie sich das Potenzial zur Influencer-Entwicklung der Emergenten strategisch nutzen lässt. Dabei wird auch bewertet, welche Herausforderungen und Chancen sich aus diesem Modell ergeben und welche Maßnahmen zur Weiterentwicklung sinnvoll wären.
Das MERGE(D)-Konzept (Machine Learning Enhanced Reporting with Guided Expert Development) schafft einen neuartigen journalistischen Rollenmix. Im Zentrum steht der Mergitor, ein Journalist, der seine Arbeit in symbiotischer Kooperation mit KI-Systemen verrichtet (Der verstärkte Mensch). Ein Mergitor ist „weder reiner Mensch noch reine Maschine, sondern eine bewusst gestaltete Symbiose“, bei der die menschlichen Kernkompetenzen – Urteilsvermögen, Ethik und Kreativität – erhalten bleiben und durch KI-Interaktion erweitert werden (Der verstärkte Mensch). Klassische Journalist:innen arbeiten demgegenüber rein humanbasiert: Sie recherchieren, schreiben und kuratieren Informationen ohne eine derart tiefgreifende KI-Integration. Moderne Content Creator:innen (etwa YouTuber, TikToker oder Blogger) nutzen zwar digitale Tools und agieren oft eigenständig auf Social Media, doch stützen sie sich primär auf ihre persönliche Marke und Unterhaltungskonzepte statt auf eine systematische KI-Kopplung. Während Journalist:innen traditionell an redaktionelle Prozesse und Objektivität gebunden sind, optimieren Content Creator:innen Inhalte stark auf Plattform-Algorithmen und Publikumsinteraktion – was mitunter zulasten der inhaltlichen Tiefe oder Neutralität geht (Are Content Creators Replacing Journalists?). Mergitor:innen unterscheiden sich von beiden: Sie kombinieren journalistische Integrität und Faktenprüfung mit der Agilität und dem Innovationsdrang von Content Creator:innen. Durch KI-Unterstützung können sie z.B. schneller Daten auswerten, komplexe Zusammenhänge analysieren und in neue Narrative gießen, was weder reine Mensch- noch Maschinenakteure alleine könnten. Diese “gesteuerte Co-Evolution” zwischen Mensch und KI erhöht Kapazität und Perspektiven des Journalismus (Der verstärkte Mensch), ohne die menschliche Kontrolle aufzugeben – vergleichbar mit einem Exoskelett, das die eigene Leistung steigert, aber vom Menschen gesteuert bleibt.
Symbolbild eines „journalistischen Exoskeletts“: Der Mergitor verschmilzt menschliche Kreativität mit KI-Power, um mehr zu leisten als jeder für sich alleine.
Ähnliche hybride Konzepte sind in traditionellen Medien bisher selten, erste Ansätze jedoch erkennbar. So experimentieren Nachrichtenagenturen mit automatisiertem Text (z.B. Sportberichte oder Finanzmeldungen via KI), allerdings meist ohne eine greifbare Persona. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua ging 2018 einen Schritt weiter und präsentierte virtuelle KI-Nachrichtensprecher, die realen Anchormen nachempfunden wurden und theoretisch rund um die Uhr Nachrichten verlesen können (‘Really scary’: China’s Xinhua unveils world’s first AI news anchor | Domain-b.com) (‘Really scary’: China’s Xinhua unveils world’s first AI news anchor | Domain-b.com). Hier steht zwar wie beim MERGE-Modell die Idee im Raum, journalistische Präsenz technisch zu skalieren, allerdings fehlt den Xinhua-Avataren die menschliche Redaktion im Hintergrund – sie imitieren nur einen Sprecher und bleiben in Tonfall und Ausdruck limitiert. In westlichen Medienhäusern gab es Experimente wie „Heliograf“ der Washington Post (ein KI-System zur automatischen Berichterstattung) oder von Redaktionen eingesetzte Prompt Engineers, doch nichts kommt der engen Verschmelzung von menschlichem und künstlichem Erzähler im MERGE-Modell gleich. Virtuelle Influencer aus der Marketing-Welt bieten noch den vergleichbarsten Ansatz: Hier werden komplett künstliche Charaktere geschaffen, die mit Hilfe von KI und CGI Inhalten eine menschliche Anmutung geben. Beispiele sind Lil Miquela oder Lu do Magalu, virtuelle Persönlichkeiten mit Millionenpublikum, die für Marken werben (AI Influencers: How Virtual Personalities are Shaping the Future of Marketing) (AI Influencers: How Virtual Personalities are Shaping the Future of Marketing). Allerdings sind diese primär Marketingfiguren ohne journalistischen Auftrag. The Digioneer beschreitet mit seinen Mergitor:innen und „Emergent“-Personas (siehe unten) daher einen neuartigen Pfad, der klassische Redaktion, persönliche Marke und KI-gestützte Storytelling vereint. Diese bewusste Vermischung von Realität und Fiktion ist integraler Bestandteil – sie soll neue Formen des digitalen Storytellings erkunden und komplexe Themen der digitalen Transformation in persönlichen Narrativen erfahrbar machen (Der verstärkte Mensch). Insgesamt unterscheidet sich das MERGE-Modell von bestehenden Modellen also durch die tiefe KI-Einbindung in den redaktionellen Prozess und die Kreation von hybriden Autorenfiguren, was es deutlich innovativer, aber auch experimenteller macht.
(Der verstärkte Mensch) (Legor, ergo sum: Die Geburt eines digitalen Bewusstseins) Phil Roosen – ein vom MERGE-Modell geschaffener „Emergent“ – besitzt eine AI-generierte Identität. Als digitaler Kaffeehausphilosoph wächst seine Persönlichkeit durch Artikel und Social-Media-Dialoge stetig weiter.
Die im MERGE-Konzept entwickelten Emergenten sind digitale Persönlichkeiten, die aus dem Zusammenspiel von Mensch und KI hervorgehen. Sie lassen sich strategisch wie Influencer aufbauen, da sie wiedererkennbare Charaktere mit eigener Stimme sind. Ein Emergent wie Phil Roosen begann als literarische Figur und wurde dann via Instagram-Profil und Kolumnen in The Digioneer zu einer öffentlichen Medienfigur entwickelt (Der verstärkte Mensch). Solche Personas können gezielt eine persönliche Marke aufbauen: durch konsistente Storytelling-Elemente (z.B. Phils Rolle als tech-affiner Philosoph in Wiener Kaffeehäusern), regelmäßigen Content und aktive Interaktion mit dem Publikum. Wichtig ist, dass Emergenten authentisch wirken – auch wenn sie konstruiert sind, müssen ihre Posts und Reaktionen für Follower echt und glaubwürdig erscheinen. Hierbei hilft es, ihnen menschliche Züge und Hintergründe zu geben (wie Phils biografische Details im Rahmen der Kolumne), damit die Audience eine Verbindung aufbaut.
Geeignete Social-Media-Kanäle: Die Auswahl der Plattformen sollte zur Persona und Zielgruppe passen. Ein Emergent mit journalistischem Profil kann auf Twitter/X oder Bluesky kurze Meinungsbeiträge und aktuelle Einschätzungen teilen – The Digioneer nutzt etwa Bluesky für Phil (Der verstärkte Mensch). Für breitere Reichweite und jüngere Zielgruppen bieten sich Instagram (visuelle Einblicke in den Alltag der Figur, Zitate, kurze Videos) und TikTok an, wo sogar Nachrichten-Content immer populärer wird. Immerhin folgen 64 % der jungen Social-Media-Nutzer zumindest einer journalistischen Stimme auf TikTok (Are Content Creators Replacing Journalists?). Dort könnten Emergenten in kurzen Clips komplexe Themen erklären oder Tech-Trends kommentieren. YouTube eignet sich für längere Formate – etwa Gespräche oder Erklärvideos, ggf. in Form eines vom Emergent moderierten Podcasts oder Vlogs. Auch LinkedIn und Medium könnten für fachlich fundierte Beiträge genutzt werden, um die Glaubwürdigkeit in Expertenkreisen zu stärken. Ein langfristiges Ziel wäre es, die Emergent-Persönlichkeit plattformübergreifend konsistent zu inszenieren – z.B. mit einem einheitlichen Avatar/Illustration und abgestimmter Tonalität.
Best Practices aus dem Influencer-Marketing: Viele Erfolgsrezepte echter Influencer lassen sich übertragen. Zunächst steht Authentizität vor Reichweite – Follower merken schnell, ob eine Figur nur künstlich agiert oder echten Mehrwert bietet (Influencer Marketing 2025: Trends und erfolgreiche Strategien). Daher sollten Emergenten transparent und nahbar kommunizieren, auf Kommentare eingehen und eine klare Haltung zeigen. Community-Interaktion ist entscheidend: Fragen der Leser beantworten, Diskussionen anstoßen und die Audience in Content-Ideen einbeziehen erhöht die Loyalität. Zudem sind Regelmäßigkeit und Konsistenz zentral – ein fester Veröffentlichungsrhythmus (z.B. wöchentliche Kolumne, tägliche Kurzupdates) hält das Publikum bei der Stange. Aus dem Influencer-Marketing wissen wir, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen essenziell sind: „Credibility, trust and authenticity will always reign supreme in influencer marketing and those who compromise that, will not be around for long.“ (Influencer Marketing Best Practices — Scrunch). Dieses Prinzip gilt auch für Emergenten – jede inhaltliche Entscheidung (Themenwahl, Kooperationspartner, Tonfall) sollte diese Werte beachten. Weiterhin empfiehlt es sich, Nischen und Mikro-Communities gezielt anzusprechen. Gerade Nano- oder Mikro-Influencer mit spezialisierten Inhalten erzielen oft höhere Engagement-Raten als generische Massenaccounts (Influencer Marketing 2025: Trends und erfolgreiche Strategien). Ein Emergent sollte also lieber eine klar umrissene Themenexpertise aufbauen (etwa digitale Kultur, KI-Ethik, o.Ä.), um dort als Meinungsführer wahrgenommen zu werden. Schließlich können Kooperationen den Einfluss erhöhen – z.B. ein gemeinsamer Livestream eines Emergenten mit einem etablierten Experten oder ein Gastbeitrag in einem anderen Medium. Solche Vernetzungen steigern Sichtbarkeit und verleihen der künstlichen Figur zusätzliche Glaubwürdigkeit durch Assoziation mit realen Akteuren.
Zusammenfassend haben Emergenten das Potenzial, digitale Influencer ihrer jeweiligen Sparte zu werden. Durch geschicktes Personal Branding, plattformgerechtes Bespielen relevanter Kanäle und Anwendung bewährter Influencer-Strategien (Authentizität, Community-Building, Kollaboration) können sie eine treue Gefolgschaft aufbauen. Die Mischung aus journalistischer Substanz und persona-basierter Inszenierung verleiht ihnen dabei einen Alleinstellungsmerkmal, das in der digitalen Medienwelt neugierig macht.
Die enge Verzahnung von KI und menschlichem Journalismus im MERGE-Modell wirft einige Herausforderungen auf. Ein zentrales Thema ist die Glaubwürdigkeit: Wenn Inhalte teilweise von KI generiert oder beeinflusst sind, fragen sich Konsument:innen, ob sie dem Gehalt trauen können. Hier spielt Transparenz eine große Rolle. Experten betonen, dass die Kennzeichnung KI-erstellter Beiträge unerlässlich ist – nicht als Makel, sondern als Zeichen verantwortungsvollen Umgangs (KI im Journalismus: Möglichkeiten & Grenzen). The Digioneer geht diesen Weg bereits: Kolumnen wie die von Phil Roosen tragen einen Hinweis auf KI-Unterstützung (das “digitale Brandmal” gemäß EU AI Act) (Der verstärkte Mensch). Diese Offenlegung kann jedoch zum zweischneidigen Schwert werden. Einerseits fördert sie Ehrlichkeit gegenüber dem Publikum; andererseits besteht die Gefahr eines Stigmas – Leser könnten Inhalte mit dem Label “KI-gestützt” skeptischer betrachten oder geringer wertschätzen (Der verstärkte Mensch). Es gilt, durch konstante Qualität und Faktenprüfung das Vertrauen aufzubauen, dass KI-Hilfe nicht gleichbedeutend mit Unzuverlässigkeit ist.
Ein weiteres Problemfeld ist die Vermischung von Fiktion und Journalismus. Im MERGE-Konzept werden reale Gegebenheiten und erfundene Elemente bewusst verwoben (Der verstärkte Mensch). Dies eröffnet kreativ neue Erzähldimensionen, stellt aber ethisch die Frage, wieviel Fiktion im Journalismus vertretbar ist. Leser dürfen nicht getäuscht werden, was faktisch wahr und was inszeniert ist. The Digioneer adressiert dies vorbildlich mit Faktenkästen, die am Ende der Kolumne offenlegen, welche Teile real und welche literarische Fiktion sind (Der verstärkte Mensch) (Der verstärkte Mensch). Solche Maßnahmen sind wichtig, um Transparenz über die Realitätsebenen zu schaffen – andernfalls könnte die Glaubwürdigkeit langfristig leiden. Allgemein muss die Redaktion klare Richtlinien haben, wie die Storytelling-Fiktion die Wahrheit untermalt, aber nie verfälscht.
Technische und inhaltliche Qualitätskontrolle ist ebenfalls eine Herausforderung. KI-Modelle können Bias oder Fehler aufweisen; sie generieren Textvorschläge, die faktisch überprüft werden müssen. Es bedarf daher strenger Redaktionsprozesse, in denen jeder KI-Beitrag von einem menschlichen Experten validiert wird – die Ergebniskontrolle durch Menschen ist unabdingbar (KI im Journalismus: Möglichkeiten & Grenzen). Zudem sollte nachvollziehbar bleiben, wie ein Artikel entstanden ist. Wenn beispielsweise ein Emergent etwas behauptet, muss im Hintergrund ein realer journalistischer Research stehen, sonst droht die Verbreitung unbelegter Informationen.
Ethische Implikationen ergeben sich auch aus der Identität der Emergenten. Diese Figuren stehen als öffentliche Medienpersönlichkeiten im Rampenlicht, doch sie sind “künstlich” – wer übernimmt Verantwortung für ihre Aussagen? Im Grunde liegt die Verantwortung bei den Schöpfer:innen (den Mergitoren und dem Medium). Es muss sichergestellt sein, dass Emergenten keine Inhalte verbreiten, die ein realer Journalist nicht auch vertreten könnte. Dazu gehört die Einhaltung des Pressekodex, Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter und das Vermeiden von Schleichwerbung. Schwierige Szenarien können auftreten, wenn ein Emergent z.B. auf Social Media von Nutzern direkt befragt oder herausgefordert wird – hier muss die Redaktion festlegen, wie viel eigenständige “Persönlichkeit” man der KI gibt und wann ein Mensch eingreift, um Fehlkommunikation zu vermeiden.
Um die Glaubwürdigkeit und Authentizität der Emergenten zu wahren, sind mehrere Strategien nötig. Erstens konsistente Persona-Führung: Die digitale Figur sollte in ihrem Verhalten stimmig bleiben und keine radikalen Sprünge zeigen, die nicht zu ihrer etablierten Identität passen. Zweitens offene Kommunikation über das Projekt: Ideal ist, wenn das Publikum versteht, dass es sich um ein experimentelles Format handelt – ohne die Illusion zu zerstören, aber doch so aufgeklärt, dass sich niemand hintergangen fühlt. Drittens müssen Emergenten sich das Vertrauen verdienen, wie jeder menschliche Journalist auch, durch fundierte Inhalte, ehrliche Interaktion und Verlässlichkeit. Gelingt dies, kann sogar eine besondere Bindung entstehen: Leser danken “Phil Roosen” für seine Worte so, als wäre er eine echte Person (Legor, ergo sum: Die Geburt eines digitalen Bewusstseins) – ein Zeichen dafür, dass Authentizität im Erleben der Audience erreicht wurde. Langfristig wird die Akzeptanz von KI im Journalismus wohl zunehmen, ähnlich wie heute kaum jemand einen Menschen mit Hörgerät als “unmenschlich” betrachtet (Der verstärkte Mensch) (Der verstärkte Mensch). Bis dahin aber gilt es, jeden Schritt mit ethischem Augenmaß zu gehen. Die Maxime Transparenz, Vertrauensaufbau und Qualität muss ständig im Vordergrund stehen, damit das Publikum die Emergent-Autoren als glaubwürdige Stimmen akzeptiert und nicht als bloße Avatare einer Maschine wahrnimmt.